Der edle Geist

Alles Große und Edle ist einfacher Art.

– Gottfried Keller

Danke für den erinnernden Hinweis.

Der Sinn für das Edle, nämlich der für die Wahrheit, für die Weisheit und für die hohe Geistige Reife ist uns ein bißchen abhanden gekommen. Das niedrig schwingende Schillern von Geld und Ansehen verblendet uns… die klare Sicht.

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Mengzi, Edler Mensch, Nirmalo,

Wenn er sich auch zu jedermann freundlich verhält:
Der edle Mensch ist kein Schleimer.

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Der edle Mensch

Nichts mehr bedarf eine Nation als einen Überfluß an edlen Männern, die sich dem Allgemeinen widmen.

– Leopold von Ranke

Mit dem Aufkommen der Demokratie („Herrschaft des Volkes“, also der gemeinen Masse) ist der Begriff des „edlen Menschen“ fast völlig aus der Mode gekommen. Wir hängen den Wert „Demos“ dermaßen hoch, daß wir dabei die Werte, die den „edlen Menschen“ ausmachen, komplett übersehen.

Adel = edle Gesinnung.

Adel verpflichtet.“ Adelige Herkunft (Erziehung & Bildung) verpflichtet zur Annahme von Verantwortung (tüchtig und tugendhaft) basierend auf der Idee der Aristokratie, also dem Bestreben nach einer auf das Gemeinwohl ausgerichteten Führung der Besten und der Geeignetsten.

Diesen edlen Menschen haben wir scheint´s, zusammen mit der Herrschaft der Aristokratie gleich mit abgeschafft. Das ist fatal! Die darin liegenden Gefahren haben wir (immer noch) nicht erkannt.

Der hier verstandene geistige Adel hat natürlich nichts mit irgend einem Stammbaum, mit körperlichem Erbe zu tun.

Was macht ihn aus, den „edlen Menschen“?

Ganz pauschal würden wir heute den edlen Menschen mit einem „guten Charakter“ beschreiben. Das ist aber nicht wirklich zutreffend. Der edle Mensch weist sich aus durch eine überdurchschnittlich hohe Geistige Reife:

  • Er kann das größere Ganze sehen
  • und Zusammenhänge erkennen.
  • Er hat die Fähigkeit zu Mitgefühl.
  • Die Menschen achtet er unterschiedslos.
  • Verantwortungs-Bewußtsein kennt er,
  • aber nicht nur in Bezug auf „die Seinen“.
  • Das Gemeinwohl-Denken ist bei ihm vorrangig:
  • Das Beste für die Allgemeinheit.
  • Eigenständiges Denken ist ihm vertraut,
  • ebenso wie Intelligenz und Weisheit.
  • Weisheit kommt ohne Wahrhaftigkeit nicht aus.
  • Vornehmheit und Eitelkeit kennt er nicht.
  • Der Wunsch nach Beachtung ist ihm fremd.

Diese Qualitäten wirken auf uns irgendwie exotisch, wir kennen sie fast nur noch aus der Literatur. Statt dessen haben wir uns mit Zuordnungen, wie „Verbraucher“, „Jeder zu seinem Vorteil“ („Geiz ist geil“) und „Kinder an die Macht“ oder dem „Durchschnitt der Bevölkerung“ (in den Parlamenten) zufrieden gegeben und… damit identifiziert. Selbst in den höchsten und neuralgischen Positionen erwarten wir nichts anderes mehr.

Das ist nicht der Zenit unserer Möglichkeiten. An der Geistigen Reife gespiegelt, ist das gerade mal Kleinkind-Niveau (2).

Wir sollten uns mal wieder auf die wirklichen Werte besinnen und unsere Ansprüche ihnen entsprechend… höher schrauben! Denn das Edle in uns ist nicht gestorben, es ist bloß unter billigem Blech verschüttet.

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Handle nur nach derjenigen Maxime,
durch die du zugleich wollen kannst,
daß sie ein allgemeines Gesetz werde.

~ Immanuel Kant

Eine Forderung in der Form des Imperativs! An Menschen gerichtet, die noch der Führung bedürfen.

Konfuzius sagte das, 2000 Jahre früher, über den gereiften Menschen – nicht fordernd, sondern rein feststellend (!) und setzt damit den Geistigen Reifegrad mindestens des Erwachsenen (4), eher noch den des Lehrers (5), vielleicht sogar den des Weisen (6) voraus, als er sagte: 

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Die GEISTIGE REIFE ist keine Sache der Klugheit (IQ), des Standes, der Bildung oder der Macht! Nicht eimal die einer besonderen Fertigkeit oder eines Talents.

Geistige Reife 📌

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Der Edle zürnt nicht lange.

– Nikolaus Simrock (1773)

Um länger zürnen zu können, müssen wir unbewußt sein. Dem, der hier „der Edle“ genannt wird, ist die Bewußtheit nicht fremd. Zorn kann sich nur in einem Feld der Unbewußtheit, in einem der Unreife entfalten.

Der Edle… ist hier nicht edel von Bluts wegen oder wegen seiner gesellschaftlichen Stellung oder aufgrund von Bildung und Wissen, sondern… Stand seiner Geistigen Reife (die oftmals fälschlich als „Charakter“ bezeichnet wird. Fälschlich, weil unter „Charakter“ etwas Eingefahrenes, Starres verstanden wird).

Die Bewußtheit macht den Edlen aus, sie ist ein Nährboden der Weisheit.

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Nächstenliebe

(im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung)

Meister Mo Ti sagte: ‚Wenn man andere Staaten wie den eigenen betrachtet und andere Familien wie die eigene und andere Menschen wie sich selbst, dann werden die Feudalfürsten einander lieben und keinen Krieg miteinander führen, und die Familienvorstände werden untereinander Freundschaft pflegen und nicht aufeinander übergreifen, und die Menschen werden einander lieben und nicht schädigen und Elend, Übergriffe, Unzufriedenheiten und Haß werden in der ganzen Welt nicht mehr aufkommen können. Dies hat seinen Grund in der gegenseitigen Liebe.’

– Me-Ti 

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Xunzi, der Edle, Nirmalo,

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Potenzial

Edle Gesinnung kommt von hohen Ämtern.

– Titus Livius

Auch. Unter Umständen.
Ist aber nicht garantiert.

Deine Äußerung ist vermutlich ein Ergebnis konkreter Beobachtung, eine Erkenntnis. Sie führt zu einer weiteren:

Die edle Gesinnung ist…
als Potenzial vorhanden.

Günstige Umstände (z.B. Amtsübernahme) wie die Situation, Verantwortung für einen größeren Bereich übernehmen zu müssen, können sie hervorlocken und zur Entfaltung beitragen:

Amtsübernahme ermöglicht Wachstum im Bereich Geistiger Reife. Eine Garantie dafür gibt es nicht. Manch einer bleibt dennoch den Ego-zentrierten Intentionen verhaftet.

Die bereits reiferen Menschen drängt es nicht nach „hohen Ämtern“. Da sie nicht bestimmt oder gewählt werden können, müßte man sie schon einladen.

„Gerechtigkeit gibt jedem das Seine,
maßt sich nicht Fremdes an und setzt
den eigenen Vorteil zurück, wo es gilt,
das Wohl des Ganzen zu wahren.“

– Ambrosius von Mailand

Während bei Titus Livius die Edle Gesinnung erst im Wachsen begriffen ist, zum Beispiel durch das Ausüben hoher Ämter, wird sie von Ambrosius von Mailand bereits als vorhanden gesehen.

Der edel Gesinnte gönnt jedem das Seine und stellt das eigene Wohl nicht über das des Ganzen oder das des Anderen – wer der „Andere“ auch sein mag.

Das Gemeinwohl liegt ihm am Herzen, frei aus ihm selbst heraus, ohne jeden Anstoß von Außen. Wohlwollen sich selbst und allen Anderen gegenüber.

Dieser Grad an Reife ist uns nahezu unbekannt.

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Richtiges Hören

Wenn man richtig zu hören versteht,
so müssen die Schwätzer verstummen.

– Lü Bu We

Eine Frage des eingestimmt-sein.

Wenn wir in unserem Film sind, wenn unser Geist mit Vergangenheit und Zukunft beschäftigt ist, können wir die Blüten nicht sehen, das Gezwitscher der Vögel nicht hören, das Toben der Kinder nicht mitbekommen, den eigenen Atem nicht spüren.

Sobald wir aber mal für einen Moment wach und aufmerksam sind, sind die Schwätzer plötzlich verschwunden. Das ist der Augenblick für das „richtige Hören“, für das intelligente Wahrnehmen.

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Grenzen der Macht

„Adel“ und das hier zu verstehende „Edel“ sind (etymologisch) aus gleichem Hause.

Ich kann an einem Tag tausend adeln und zu Rittern machen. Aber so mächtig bin ich nicht, daß ich in tausend Jahren einen Gelehrten machen könnte.

– Kaiser Sigismund von Luxemburg

Doch, könntest du.

Du kannst innerhalb kürzester Zeit jede Menge Leute zu Gelehrten machen, vorausgesetzt, du hast einen langen Atem und deine Leute bringen den nötigen Willen auf, sich von dir alles nur Mögliche eintrichtern zu lassen.

Wo du aber scheitern würdest: Wolltest du auch nur einen Einzigen von ihnen „weise machen“ oder dessen Geistige Reife anheben wollen.

WISSEN können wir von Außen bekommen, können wir guggeln, sogar kaufen. Aber in Sachen Geistiger Reife und Weisheit müssen wir uns (jeder Einzelne für sich selbst) auf die entsprechende Frequenz der Intelligenz einstimmen. Dabei kann uns niemand helfen.

Hier ist noch der größte Kaiser… machtlos.

Die Gelehrten auf Erden sind reich an geschickten Reden und scharfen Worten. Sie verwirren alles, weil sie nicht nach dem wirklichen Tatbestand streben, sondern nur darauf aus sind, einander ins Unrecht zu setzen und zu besiegen.

– Lü Bu We

Viel Wissen und steile Rhetorik können mangelnde Geistige Reife nicht auswetzen.

Wir müssen uns irgend einen edlen Menschen aussuchen, den wir stets vor Augen haben, damit wir leben, als schaue er uns zu, und immer handeln, als sehe er es.

– Lucius Annaeus Seneca

Das sagt der Lucius Annaeus in der Attitüde des Lehrers (5) und richtet sich an die Masse der nicht reifen Menschen. Die katholische Kirche hat „den edlen Menschen“ abstrahiert und sagt in gleicher erzieherischer Intention: „Gott sieht alles!“

Osho hat das Selbe mal etwas anders formuliert: „Du kannst vielleicht das Finanzamt betrügen, aber nicht dich selbst.“

Der reifere Mensch wird aus sich selbst heraus dem Edlen gerecht. Ohne jede Motivation wird er achtsam seine Worte wählen und… bewußt handeln.

Einwand: „…dass du an deiner geistigen Reife noch viel arbeiten musst. Natürlich muss (oder sollte) das aber auch jeder von uns.“

Ja, wir glauben gerne, an allem Möglichen und Unmöglichen „arbeiten“ zu müssen und zu können. Laß mich bitte wissen, wie du vorgehst, wie du es im Einzelnen anstellst, an deiner Geistigen Reife zu arbeiten! 🤗

Hier geht es eher um Erkenntnis – jedenfalls nicht um ein Tun. Reife ist mehr ein Loslassen, denn eine Anstrengung.

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Der Edle

Der Edle bewegt sich stets so, daß sein Auftreten zu jeder Zeit als allgemeines Beispiel gelten kann. Er benimmt sich so, daß sein Verhalten jederzeit als allgemeines Gesetz dienen kann. Und er spricht so, daß sein Wort zu jeder Zeit als allgemeine Norm gelten kann.

…sagt Konfuzius

Man könnte meinen, der Konfuzius habe das beim Immanuel Kant abgeschrieben. 😉 Man könnte ― aber mal vom Altersunterschied abgesehen:

Der Geist weht, wo er will.

– Johannes 3,8

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Wahrhaftigkeit

Dem Toren stehen hochtönende Worte nicht an,
noch viel weniger dem Edlen die Sprache der Lüge.

– Bibel, Sprichwörter 17, 7

Ja, dem Edlen steht sie nicht an, die Sprache der Lüge. Aber keine Sorge, denn jemand, der die Sprache der Lüge beherrscht, ist per se nicht Teil der Gemeinschaft der Edlen.

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Keine eigene Weisheit

Der Edle muß im Leeren weilen und im Stillen wandeln und darf keine eigene Weisheit haben wollen, dann kann er alle Weisen auf Erden für sich gebrauchen.

– Lü Bu We (um 250 v. Chr.)

Denn nur in der Leere, nur in der Stille finden wir den Zugang zur Weisheit – oder besser gesagt… findet die Weisheit (zu) uns.

Sobald aber das „ich“ oder das „mein“ oder ein „Copyright“ ins Spiel kommen, ist die Weisheit schon wieder entschwunden.

Wer jedoch im Stillen verweilt, im gedankenleeren Raum und nur die Wahrheit als Richtschnur nimmt, ist unvermittelt EINS… mit allen Weisen der Erde.

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Selbst einem Schüler im Anfangsstadium
sollte es nicht schwer fallen, das Erhabenste,
das Klarste und das Edelste zu erkennen.

― Neale Donald Walsch

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Noch ein paar klarstellende Worte (Differenzierungen) des Konfuzius zur
Unterscheidung der Qualitäten im Ausdruck des edlen Menschen von denen des gemeinen: 

„Den edlen Menschen kränkt sein Unvermögen;
ihn kränkt nicht, daß man ihn nicht anerkennt.“

„Der Edle benützt seinen Reichtum, um sein Leben reicher zu gestalten.
Der Niedrigdenkende benützt sein Leben, um zu Reichtum zu gelangen.“

Der Edle kennt sich aus in der Pflicht – der Gemeine im Gewinn.“

„Der Edle kümmert sich nicht darum, wenn ihm die Anerkennung vorenthalten
wird; denn er ist damit beschäftigt, Dinge zu tun, die Anerkennung verdienen.“

„Der edle Mensch erhebt nicht Menschen wegen ihrer
Worte, noch verwirft er Worte wegen Menschen.“

„Der edle Mensch hat die Tugend im Sinn, der niedrig Gesinnte Besitz;
der edle Mensch hat die Satzungen im Sinn, der niedrig Gesinnte Vergünstigungen.“

„Der edle Mensch hilft seinen Mitmenschen, das Gute in ihnen zur Reife zu
bringen, nicht aber das Schlechte. Der niedrig Gesinnte tut das Gegenteil.“

„Der edle Mensch ist der Ehre würdig, ohne sich um Würden
zu streiten; er ist gesellig, ohne einem Klüngel anzuhängen.“

„Der edle Mensch ist frei von Betrübnis und frei von Furcht.“

„Der edle Mensch ist in Frieden mit sich selbst;
der Gemeine macht sich ständig Sorgen.“

„Der edle Mensch ist kein Gerät, das nur einer Verrichtung dient.“

„Der edle Mensch ist würdevoll, ohne überheblich zu sein;
der niedrig Gesinnte ist überheblich, ohne würdevoll zu sein.“

„Der edle Mensch mag gelegentlich das Prinzip der Menschenliebe verletzen;
der Gemeine jedoch hat noch nie an das Prinzip der Menschenliebe geglaubt.“

„Der edle Mensch nimmt weitherzig Partei, aber er ist nicht parteiisch;
der niedrig Gesinnte ist parteiisch, aber er nimmt nicht weitherzig Partei.“

„Der edle Mensch strebt nach Harmonie, aber er biedert sich nicht an;
der Niedriggesinnte biedert sich an, aber er strebt nicht nach Harmonie.“

„Der edle Mensch streitet sich mit keinem. Und ist er doch
zum Wettstreit gezwungen, so nur beim Bogenschießen.“

„Der höhere Mensch hat Seelenruhe und Gelassenheit,
der gewöhnliche ist stets voller Unruhe und Aufregung.“

Konfuzius