Der Totenschädel

Dschuang Dsï sah einst unterwegs einen leeren Totenschädel, der zwar gebleicht war, aber seine Form noch hatte.

Er tippte ihn an mit seiner Reitpeitsche und begann also ihn zu fragen: »Bist du in der Gier nach Leben von dem Pfade der Vernunft abgewichen, dass du in diese Lage kamst? Oder hast du ein Reich zugrunde gebracht und bist mit Beil oder Axt hingerichtet worden, dass du in diese Lage kamst? Oder hast du einen üblen Wandel geführt und Schande gebracht über Vater und Mutter, Weib und Kind, dass du in diese Lage kamst? Oder bist du durch Kälte und Hunger zugrunde gegangen, dass du in diese Lage kamst? Oder bist du, nachdem des Lebens Lenz und Herbst sich geendet, in diese Lage gekommen?«

Als er diese Worte gesprochen hatte, nahm er den Schädel zum Kissen und schlief. Um Mitternacht erschien ihm der Schädel im Traum und sprach: »Du hast da geredet wie ein Schwätzer. Alles, was du erwähnst, sind nur Sorgen der lebenden Menschen. Im Tode gibt es nichts derart. Möchtest du etwas vom Tode reden hören?«

Dschuang Dsï sprach: »Ja.«

Der Schädel sprach: »Im Tode gibt es weder Fürsten noch Knechte und nicht den Wechsel der Jahreszeiten. Wir lassen uns treiben, und unser Lenz und Herbst sind die Bewegungen von Himmel und Erde. Selbst das Glück eines Königs auf dem Throne kommt dem unseren nicht gleich.«

Dschuang Dsï glaubte ihm nicht und sprach: »Wenn ich den Herrn des Schicksals vermöchte, dass er deinen Leib wieder zum Leben erweckt, dass er dir wieder Fleisch und Bein und Haut und Muskeln gibt, dass er dir Vater und Mutter, Weib und Kind und alle Nachbarn und Bekannten zurückgibt, wärst du damit einverstanden?«

Der Schädel starrte mit weiten Augenhöhlen, runzelte die Stirn und sprach: »Wie könnte ich mein königliches Glück wegwerfen, um wieder die Mühen der Menschenwelt auf mich zu nehmen?«

– Dschuang Dsï   (365 – 290 v. Chr.)

Sufi-Schüler

Sufi, Tanz,

Wo immer der Tanzende mit dem Fuß auftritt, da entspringt dem Staub ein Quell des Lebens. Rumi

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Man erzählt sich…
Ein Sufi-Meister ritt mit einem seiner Schüler durch die Wüste.
Bei Einbruch der Dunkelheit stießen sie auf eine Karawanserei und beschlossen, dort zu übernachten. Der Meister trug seinem Schüler auf, sich um die Kamele zu kümmern und ging schlafen.
Am nächsten Morgen waren die Kamele fort. Der Schüler hatte sie nicht angebunden.
Der Meister fragte: „Warum hast du die Kamele nicht angebunden?“
Der Schüler: „Du lehrst uns doch, daß wir Allah vertrauen sollen.“
Darauf sagte der Meister: „Ja, es ist richtig, Allah zu vertrauen, doch zuerst binde die Kamele an.

Liebe & Imperativ

Diese Anekdote erzählt man sich vom Alten Fritz…

Er war ein bisweilen harscher und unberechenbarer Zeitgenosse!
     Die Bürger hatten also wenig Neigung, ihn irgendwo im Land zu treffen, wußte man doch, daß er mitunter auch inkognito unterwegs war.
     Eines Nachts, ein Bürger war noch in den Straßen der Stadt unterwegs, als dieser weiter hinter sich Schritte hörte, die vom „tack, tack, tack…“ eines Krückstocks begleitet wurden.
     Der Bürger ahnte sofort, wer dort hinter ihm schritt und schlich sich flugs in die Ecke eines Hauseingangs, um nicht vom Schein der Straßenlaterne erfaßt zu werden.
     Die harten Schritte kamen immer näher und plötzlich stand der Verfolger direkt vor ihm.
     „Was denkt er von seinem König?“, fragte dieser unvermittelt mit harter Stimme den verängstigten Mann.
„Er achtet ihn“, antwortete der Mann wahrheitsgemäß, aber leise.
     „Er achtet ihn…“, wiederholte der Alte Fritz und seine Stimme wurde allmählich etwas drohender: „Lieben soll er mich! Lieben soll er mich! Lieben soll er mich!…“
     Und mit jedem: „Lieben soll er mich!“ drischt der König hart mit seinem Krückstock auf seinen armen Untertanen ein…

Selbst ein Kriegsherr und König bleibt beim Einfordern von Liebe erfolglos. Spätestens hier muß er scheitern.

✿  Liebe kann nicht eingefordert werden.alte-fritz_223-3
✿  Frieden kann nicht eingefordert werden.
✿  Vertrauen kann nicht eingefordert werden.